Ich weiss das Worte wie "Flüchtlinge" oder "Flüchtlingskrise" vielen Leuten aus den Ohren hängt, wir müde von den Bildern und Berichten aus TV und Zeitung sind. Wir sind es "leid" dieses Leid zu sehen, davon zu hören uns damit auseinander setzen zu müssen. Sich mit dem Thema auseinanderzusetzen endet oft in politischen / unschönen Diskussionen, es ist ein Wagnis sich dazu zu äußern. Die Worte die ich jetzt schreibe, kommen aus meinem Herzen und sind meine persönlichen Erlebnisse.
M O R I A C A M P
Ich nehme dich mit auf die Insel Lesbos. Diese Insel war noch vor ein paar Jahren, vor der Wirtschaftskrise ein begehrter Touristenort. Heute stehen viele der Hotels leer, die Cafes sind so gut wie nur noch von Einheimischen besucht. Von der Küste aus, kann man bei klarer Sicht die Türkei sehen - zu dem Festland sind es nur 8km Luftlinie. Dies ist die Route die hunderttausende von Menschen aus dem Nahen Osten auf sich genommen haben um Krieg, Tod, Verfolgung zu entfliehen. Sie sind auf der Suche nach Hoffnung, dem Leben und einem sicheren Zuhause. Sie laufen tagelang durch gefährliche Gegenden, verstecken sich in Autos, überqueren in überfüllten Schlauchbooten das offene Meer. Unter ihnen sind schwangere Frauen, Jugendliche, Kleinkinder, Familien, Grosseltern und viele Männer - ihr Hab & Gut besteht aus dem was sie an ihrem Leib tragen, und in Hosentaschen und vielleicht einem Rucksack verstauen können.
Im Moria Camp angekommen wurden meine Augen, aber auch mein Herz für die Situation und die Flüchtlingskrise welche als die grösste humanitäre Krise gilt, ganz neu geöffnet. (Gib bei Google einfach mal Moria Camp ein und schau dir die Bilder an.) Dort angekommen traf ich auf mein Team welches einige Tage zuvor Augenzeugen einer Tragödie wurden. In einer Woche sind drei Menschen in dem Camp gestorben. Sie starben an Kohlendioxidvergiftung als sie in ihren Iglozelten versuchten zu kochen und sich warm zu halten. Meine Aufgabe war es meine Studenten und Staff aufzufangen, ihnen zu zuhören, Tränen trocknen, sie durch Emotionen und Fragen "Wieso lässt Gott dies zu?" zu begleiten. Trotz all dem Leid und der Ungerechtigkeit die sie gesehen haben- wollte alle wieder zurück ins Camp und den Menschen dort dienen. Unsere Schichten ( 7.00- 15.00; 15.00-22.00, 22,00-7.00) bestanden darin uns um die Sicherheit der Menschen im Camp zu kümmern, Zelte zu reparieren, Paletten zu tragen, Kleidung zu verteilen, Tee zu kochen, Schlafsäcke & Decken in kalten Nächten zu verteilen und vor allem Beziehung zu den Menschen aufbauen.
D E R M A N N A M M E E R
An einem Tag waren wir an der Küste um drei junge Männer aus dem Moria Camp zu interviewen.
Irgendwann fiel mir ein Mann auf der am Strand sass. Ich beobachte ihn für einen Moment und höre mich zu meiner Freundin sagen, "Hey, ich glaube ich soll zu dem Mann gehen". Sie dann " Ja, mach doch". In dem Moment war's es nicht die Antwort die ich hören wollte. Ich hatte gehofft sie sagt klar ich komme mit. Und damit drehe ich mich um und beschäftige mich mit den Interviews. Etwa 30 Minuten vergehen, als dieser Mann erneut meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dieses Mal sitzt er mit seinem Gesicht in seinen Händen vergruben. Und erneut höre ich mich - dieses Mal zu meinem Studenten sagen - " Irgendwas stimmt mit dem Mann nicht." Eine meiner Studentinnen schaut rüber und sagt dann, ach was er sitzt nur da. Dann sind meine Gedanken, ach Lisa alles ist gut, "übertreib nicht immer etwas fuehlen zu müssen". Doch irgendwas lässt mich nicht los, ich drehe eine grosse Runde, und als ich dann näher zu ihm komme, sehe ich wie er sich auf die Seite legt, den Kopf auf seinem Arm gestützt. Ich denke "hm, vielleicht geniesst er auch nur die Sonne und macht ein Mittagsschläfchen." Und ich hatte die Ausrede, ich als Frau sollte vielleicht nicht diesen Mann einfach so ansprechen. Die Tage zuvor waren bitterkalt und so machte es Sinn. Ich nehme meine Kamera und mache dieses Bild welches du oben siehst. Denke, es ist ein Mann der an der Küste einfach ein bisschen Sonne tankt.
Doch nach kurzer Zeit zeigt sich das ich falsch lag.
Aus der Entfernung sehe ich wie zwei aus meinem Team auf ihn zugehen, und an ihrer Körperhaltung sehe ich das was nicht stimmt. Ich laufe los, und dann stehe ich bei dem Mann, der seit gewiss einer Stunde immer wieder in meinen Sinn kam. Ich finde diesen Mann bitterlich weinend, am ganzen Körper schütteln und nicht ansprechbar vor. Ich versuche rauszufinden ob der Mann dehydriert ist, ob er doch ansprechbar ist, doch er ist es nicht.
Während ich da neben ihm auf meinen Knie bin, sage ich zu beiden anderen "komm lass uns beten" - es war das einzige was mir in dem Moment einfiel. Ich lege mein Hände auf ihn und fange an zu beten, frage Gott was mir machen soll. Immer noch so am schluchzend aber er wird was ruhiger, klingelt ein Handy. Sein Handy. Einer unserer drei Flüchtlinge die wir am interviewen waren steht nun auch bei uns und geht dran, und spricht Gott sei dank die selbe Sprache wie die Person am anderen Ende des Telefons. Er sagt " Ich kenne diesen Mann vom sehen. Er ist auch ein Flüchtling." Am Telefon ist der Sohn des Mannes der sich Sorgen um seinen Vater macht weil er nicht aufzufinden ist.
Die Situation ist unheimlich überwältigend, doch ich weiss das ich mich zusammen reissen muss.
Notarzt rufen.
Doch wie lange dauert es?
Ist er versichert? Würde er behandelt werden.
Nein, kein Notarzt.
Unser Auto.
"Komm, lasst ihn das Flüchtlingscamp fahren wo wir medizinische Hilfe bekommen," Sein Sohn sagte in welchem Camp sie untergebracht sind, es waren keine 10 Minuten bis wir dort im Camp angekommen sind, und sein Sohn im Teenagealter auf uns wartet. Wir übergaben den Mann dann in die Hände der Krankenschwestern.
Wir - Steffi, Jessie und die drei jungen Männer und ich bleiben zurück.
Mit schweren Herzen, mit vielen Emotionen. Und dann als ich die jungen Männer erneut ansehe, verstehe ich ein kleines bisschen mehr was ihre alltägliche Realität ist .
Auf der Autofahrt hatte ich den Eindruck es ist ok mit meinem Handy eine Momentaufnahme zu machen, die einen Einblick in die Tragik und das Leben der Menschen auf der Flucht zeigt. Hier siehst du unsere drei Freunde aus dem Moria Camp, meine Studentin Jessi, der Mann der weinend im Auto liegt.
Ich hatte danach damit zu kämpfen, dass ich nicht gleich auf meinen Impuls gehört habe - wo ich weiss das es Gottes Geist war. Hätte ich nicht gezweifelt an mir, meinem Gedanken dann hätte dem Mann schon viel eher geholfen werden. Die andere Erkenntnis war, Gott will uns gebrauchen, auch wenn wir oft "länger brauchen", will er uns benutzen um anderen Menschen ein Segen zu sein. Wie oft verstecke ich mich hinter " ist doch nicht mein Problem"? Gründe wie Angst, Bequemheit, Selbstsucht stehen oft im Weg. Doch was wenn wir anfangen die Möglichkeiten zu sehen wie wir Nächstenliebe praktizieren können, indem wir wachsam durch unseren Alltag gehen!?
D E R S C H A L
Da ich für drei Monate unterwegs war und sogar in Ländern wo zu einem Hochsommer und zum anderen Winter ist, musste ich sehr praktisch packen. So waren meine Gegenstände genau durchdacht. So wie mein Schal. Ein schöner, simpler grau / schwarzer Schal, so ein Schal der beinahe eine Decke ist. So praktisch für meine stundenlangen Flüge und Aufenthalte in Flughäfen wo die Klimaanlage mich schnell krank macht, und so mein Schal als Decke dient.
Diesen Schal war auch mein treuer und stylischer Begleiter in dem Moria Camp. Es war meine letzte Nachtschicht vor meinem Abflug im Flüchtlingslager. Es war eine bitterkalte Nacht, mit einem bissigen Wind - und wir arbeiten die ganze Nacht draussen im Freien - können uns mit Pausen abwechseln die wir dann im Inneren verbringen um uns aufzuwärmen. Vor einem der Iglozelte verkauft ein Mann heissen Tee & Kaffe fuer 50 Cent. Ich will zwei Tee fuer meine Studentinnen holen die noch etwas länger auf ihre Ablösung warten müssen. Als ich da in der Schlange stehe, spricht mich ein Mann an. Wir halten Smalltalk, er ist nett und freundlich. Ich wuerde sagen Mitte / Ende 40. Er kommt aus Afghanistan. Ich sage ich komme aus Deutschland. Wir unterhalten uns noch ein bisschen weiter auf Englisch bis mein Tee fertig ist, Ich verabschiede mich und mache mich auf den Weg zu den Mädchen.
Dort stelle ich dann fest das ich meinen Schal nicht mehr um habe. Sofort fange ich an zu überlegen wo ich abgelegt habe. Ich mache mich auf die Suche.
Schnell stelle ich fest das er nirgends zu finden ist, und ich ihn wohl irgendwo verloren haben muss.
In mir macht sich Frust breit. Und ich fange an mich richtig zu ärgern. Wo ist der Schal, Wieso muss den ich den am letzten Tag verlieren? Der war doch so schön. Wenn ich nachher jemanden mit meinem Schal sehe, dann flippe ich aus...
Ich merke wie ich mich in diesen Frust reinsteigere.
Dann sage ich mir " Lisa, es ist doch nur ein Schal. Kauf dir einen neuen."
Doch irgendwie klappt es nicht.
Dann fällt mir ein das ich ihn vielleicht an dem Teestand liegen gelassen habe. Ich gehe dorthin zurück und frage nach, der Mann verneint meine Frage. Dann höre ich eine bekannte Stimme, es ist der Afghane. Was ich suche, fragt er. Ich sage meinen Schal. Er hat ihn auch nicht gesehen, doch er sagt ich solle mitkommen.
Ich laufe einige Schritte mit ihm mit, bis wir vor einem dieser Massenzelte stehen, in denen um die 200 Personen auf einmal unterkommen. Er sagt ich solle warten, und er verschwindet in diesem Zelt.
Ich stehe da, in der Kälte in der dunklen Nacht und denke über meinen Schal nach.
Nach gefühlten drei Minuten frage ich mich, was ich hier überhaupt mache, ob ich warten soll und worauf.
Dann sehe ich wie der Mann aus dem Zelt zurück kommt.
Er hält etwas in der Hand.
Er steht vor mir, und reicht mir etwas.
Es ist ein Schal. Aber ein anderer.
"Hier, Schwester."
Und in diesem Moment bricht mein Herz.
Es bricht vor Scham und überwältigenden Gefühlen.
"Nein. ich will, äh ich brauch den Schal nicht. Ich hole mir einen neuen."
Und mit einer starken Ausdruckskraft sagt der Mann, doch ich möchte das du diesen Schal nimmst. Du bist meine Schwester. Deutschland macht soviel für meine Leute. Danke dir!
Ich bedanke mich wie betäubt und setze meine Schicht fort.
Doch in mir brodeln Emotionen und Gedanken.
Dieser Mann, der nichts besitzt - ausser was er am Leib trägt und von der Altkleidersammlung am Camp erhält, schenkt mir einen Schal. Der sauber und schön zusammengelegt war, von der Marke Street One. Offensichtlich ein Gegenstand aus der Altkleidersammlung.
Oh, was macht diese Erfahrungen auch jetzt wenn ich sie schreibe wieder mit mir.
Mir geht es so gut, und ich hänge mein Herz an einen Schal, an materiellen Dinge.
Gleich da hab ich mich so überführt gefühlt und habe Gott um Vergebung gebeten.
Ich habe mich hässlich und klein in meinen Charakter gefühlt.
Und sofort danach diese Schönheit in der Lektion gesehen - dieser Mann hat mir Nächstenliebe gezeigt.
Ich will mich und dich heute ermutigen das wir nicht nur geben wenn es bequem ist, oder wenn wir es "zuviel" an Kleider, Essen, Geld haben - doch selbst gerade dann teilen wenn uns das geben, teilen was kostet!
Ich war bereits wieder abgereist, doch mein Team war noch dort als er an einem Abend auf dem YWAM Schiff wo wir gewohnt haben an einem Abend sein Leben Jesus Christus gegeben hat.
Gott ist am Wirken.
Er wirkt mitten unter uns - so auch im Moria Camp.
Ich durfte in einem hoffnungslos erscheinendem Ort sehen, Jesus Christus ist Hoffnung!
Ich werde die Aussage nicht vergessen die ich gehört habe " Sie heissen uns mit Worten willkommen, aber ihre Augen sagen was anderes."Lass uns Menschen sein die in ihrer Nachbarschaft, auf dem Heimweg oder sonst wo mit ihren Blicken ihr Gegenüber "willkommen heisst". Denn wir alle sind von Gott geschaffen, unabhängig von wo wir her kommen.
Manchmal bin ich es der anderen Menschen Nächstenliebe zeigt, und ein andermal ist es ein anderer Mensch der mich Nächstenliebe erfahren lässt - so wie der Mann der mir den Schal gab, Fardin der mir Tee machte, oder einer der Männer der uns während unserer Nachtschicht mit Fladenbrot und Frischkäse stärkte.
Wenn du dich jetzt fragst wie du helfen kannst?
Bete für die Menschen in den Camps, das ihre Herzen mit Hoffnung und Freude erfüllt werden.
Bete für Seelsorger, Therapeuten die sich in Menschen mit Traumata investieren.
Bete für die freiwilligen Helfer die rund um die Uhr in den Camps fuer Sicherheit sorgen, Nöten begegnen.
Bete für Weisheit der Menschen in Politik, Gesundheitswesen, Sicherheit etc. die Einfluss auf diese Krise haben, wenn es um Entscheidungen geht.
Spende Kleidung - besonders Männerkleidung wird benötigt!
Investiere ein paar Wochen deines Lebens und helfe freiwillig bei EuroRelief mit:
eurorelief.net/volunteer/
(besonders junge & ältere Männer - ihr werdet gebraucht! Viele dieser männlichen Bewohner der Camps suchen einen Freund zum zuhören und reden,)
In meinem nächsten UpDate gibt es eine Geschichte, und danach einige Neuigkeiten was wir in Deutschland erlebt haben, von unserer Graduation und was sonst so alles spannendes auf der Insel passiert.
Ich möchte mich auch noch für die positiven Zeilen nach meinem letzten Blog bedanken. Ich habe so einige Tränen vergossen, da ich mich verstanden, gesehen und ermutigt gefühlt habe!
Gottes Segen und alles Liebe,
Lisa Marie